Publikationen

Theaterspielen - und seine Wirkungen

Prof. Dr. Romi Domkowsky

Vom Theater geht eine besondere Faszination aus. Insbesondere für Pädagogen besteht ein Teil dieser Faszination in der Erwartung, dass mit dem Theaterspielen besondere bildende Effekte verbunden sind. Die Frage nach der (bildenden) Wirkung des Theaterspielens gehört zu den Grundlagen des noch jungen Fachs Theaterpädagogik. Der Rückblick auf die mit Theater(spiel) verbundenen Bildungsvorstellungen zeigt, dass Theaterspielen vielfach als methodisches Hilfsmittel angesehen wurde, um die unterschiedlichsten religiösen, pädagogischen, moralischen und politischen Ziele anzustreben. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen, die Wirkungsweisen künstlerisch-pädagogischer Arbeit belegen, sind selten.

Die Zuschreibungen, die das Theaterspielen im pädagogischen Bereich erfährt, werden eher in Form von Vermutungen oder persönlichen Anekdoten publiziert. Im Bereich der Theaterpädagogik gibt es bisher kaum empirische Untersuchungen, die sich auf überprüfbare Daten stützen. Ausgangspunkt der Studie ist die Annahme, dass Theaterspielen (Transfer-)Effekte haben kann und damit zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt bzw. Persönlichkeit in gewisser Hinsicht verändert. Ästhetische Bildung, Persönlichkeitsentwicklung und Kompetenzvermittlung werden nicht als Gegensätze, sondern als sich ergänzende und integrativ zu vermittelnde Teile von Bildung verstanden.

Der erste Teil der Studie beschreibt und analysiert Theaterspielen als Phänomen ästhetischer Bildung. Er liefert eine umfassende, „dichte“ Beschreibung der mit dem Theaterspielen verbundenen ästhetischen Prozesse und Erfahrungen. Daraus werden Bestandteile einer auf das Theaterspielen bezogenen ästhetischen Kompetenz abgeleitet. Im zweiten Teil der Studie wird die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen, die über einen längeren Zeitraum Theater spielten, verfolgt. Ausgangspunkt für die Betrachtung der Transferqualitäten des Theaterspielens war die Hypothese, dass regelmäßiges Theaterspielen bei jungen Menschen Kompetenzen im personalen, sozialen, Handlungs- sowie im Lern- und Leistungsbereich fördert. Persönliche Entwicklungsverläufe werden hinsichtlich Wohlbefinden, Interesse und Engagement, Wünschen und Perspektiven, Einstellungen und Werthaltungen, personalen und sozialen Kompetenzen nachvollzogen. Spezifische Wirkpotentiale, die in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Theater liegen, werden ergründet. Durch ein vergleichendes Forschungsdesign wurden Veränderungen ausgemacht, die speziell auf das Theaterspielen zurückgeführt werden können.

Darüber hinaus wurden Entwicklungen in der Gruppe unter die Lupe genommen und betrachtet, ob sich Jugendliche, die sich für das Theaterspielen entscheiden, von anderen unterscheiden. Die Studie ist sich stets der Komplexität und Vielzahl der Einflussfaktoren bewusst, die vor und neben dem Theaterspielen für die Persönlichkeitsbildung von Bedeutung sind. In der Analyse werden die beobachteten Entwicklungsverläufe in einem systemischen Zusammenhang betrachtet. Es wird also nicht von einem naiv-moralischen Wirkmechanismus des Theaterspielens ausgegangen. Mit der Untersuchung wurde ein neuer spezifischer theaterpädagogischer Forschungsansatz entwickelt, der versucht, sich auf angemessene Weise dem Medium Theater und der Praxis der Theaterarbeit an Schulen zu nähern. Sowohl Theaterkunst als auch Pädagogik bilden die Ausgangspunkte dafür. Die Studie bedient sich verschiedener Forschungsperspektiven.

Qualitative und quantitative For-schungsmethoden werden zur Herstellung eines umfassenden Bildes vom Forschungsgegenstand, des Theaterspielens und seiner Wirkungen, verknüpft. Die Studie zeigt erstmals auf verallgemeinerbarer Grundlage, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Medium Theater Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen hat. Es wird deutlich, dass Theaterspielen eine besondere Form der Kulturvermittlung und Bildung sein kann. Die vielschichtigen Erfahrungsbereiche während des ästhetischen Prozesses und die erstaunlichen Transfereffekte, zum Beispiel in den Bereichen Offenheit und Extraversion, verweisen auf ein besonders effektives und nachhaltiges Lernen im Kontext theatraler Auseinandersetzungen. Offenbar sind mit dem Theaterspielen Lernmodi verbunden, die tief implementierend wirken.

Weitere Informationen finden Sie unter -> http://opus4.kobv.de